Die Patientenverfügung hätte ich nicht mehr gebraucht, denn mein Vater war bereits hirntot, als er aus dem OP kam.
Sie musste ihm den gesamten Dickdarm entfernen, da er bereits abgestorben war. Man hatte ihm einen künstlichen Darmausgang gelegt (womit er niemals hätte leben wollen) und musste ihn aufgrund des schwachen Herzens an die Herz-Lungen-Maschine anschließen. Diese hat sein Blut verflüssigt, wodurch es zu einer großen Hirnblutung kam, die ihn nun das Leben kostete.
Wir durften uns verabschieden, und so rief ich meine Brüder an, zur Uniklinik zu kommen.
Die Freundin meines Vater, mein Partner, meine beiden Brüder und ich kamen morgens um halb sieben an.
Die Klinik war für Besucher noch nicht geöffnet, aber eine Schwester ließ uns sofort rein, ohne überhaupt zu fragen, was wir wollten.
Niemand kontrollierte unsere Impfausweise. Man ließ uns zu fünft in sein Zimmer, brachte uns Wasser und auf Wunsch weitere Stühle und Kaffee. Das Pflegepersonal war lieb, professionell und wirklich pietätvoll. Hier ging es nicht um Formalitäten. Hier ging es um Leben und Tod, um einen Abschied, der nicht schwerer als nötig sein sollte.
Ich hatte große Angst vor dem Anblick meines Vaters. Ich wusste, dass sein kompletter Oberkörper durch die Herz- und die Darm-OP aufgeschnitten war. Dass er noch immer an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen war, um für uns „am Leben“ gehalten zu werden. Ich wusste, dass er zahlreiche Schläuche und Zugänge hatte.
Doch die Uniklinik hat sich viel Mühe gegeben, ihn „hübsch“ zu machen. Der Oberkörper war mit einem sauberen Tuch zugedeckt, sodass wir nichts sahen. Blutflecken waren an allen sichtbaren Stellen weggetupft worden, seine Haare hatten sie gekämmt und ihn so gebettet, dass es aussah, als würde er friedlich schlafen.
Der Anblick war wirklich nicht schlimm.
Ich fasste seinen nackten Arm an, er war ganz warm. Ich streichelte über seinen Arm, über seine Stirn, seinen Kopf. Ich küsste ihn auf die Stirn und sagte ihm, dass ich ihn liebe.
In 20 Minuten würde die Oberärztin kommen, sie wollte noch kurz mit uns sprechen, bevor die Geräte ausgestellt werden.
20 Minuten kam mir unfassbar lang vor. Was sollte ich 20 Minuten am Bett meines hirntoten Vaters machen? So viel Zeit brauchte ich nicht, um mich zu verabschieden. Dachte ich jedenfalls.
Die Oberärztin kam und kam nicht. Erst anderthalb Stunden später war sie da.
Sie sagte uns, was passieren würde und wir trafen noch ein paar Entscheidungen. Wollten wir dabei sein, wenn die Maschinen ausgestellt wurden und er dann für immer ging? Wollten wir, dass der Bilschirm, der seinen Puls und Blutdruck zeigte, an oder aus ist? etc.
Sie ließ uns nochmal alleine. Wir sollten uns melden, wenn wir so weit seien, dass die Maschinen ausgestellt werden konnten.
Und dann waren wir so weit.
Ein Kommentar zu „Es geht zu Ende“